Rumäniens politische Krise

Rumänien erlebt die größten Massenproteste seit 27 Jahren. Und obwohl die Regierung den seit 6 Tagen andauernden Protesten zögerlich nachgegeben hatte, gehen eher mehr denn weniger Menschen auf die Strasse. Allein in der Hauptstadt versammelten sich am Sonntagabend (5.2.17) bis zu 300.000 Menschen vor dem Regierungssitz. Das Lichtermeer aus Taschenlampen und Handydisplays ist beeindruckend. Die Wut der nach rumänischen Medienberichten etwa 600.000 Protestierenden im ganzen Land richtet sich inzwischen nicht nur auf die Rücknahme der umstrittenen Eilverordnung Nr. 13/2017. Man fordert nachdrücklich den Rücktritt der Regierung.
Das Historische an diesen Ereignissen ist nicht nur die beeindruckende Zahl der Teilnehmer und der friedliche Ablauf der Demonstrationen. Erstmalig wehren sich Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten gegen Korruption. Leute die sich nie politisch artikuliert und noch nie demonstriert und sich nie für Politik interessiert haben, haben verstanden, dass es um die Demokratie geht, dass die eigene Zukunft und die Zukunft der Enkel in Gefahr ist. Sie engagieren sich bewußt und zielgerichtet, und sie lassen sich nicht mehr mit leeren Versprechen abspeisen. Ein neues politisches und gesellschaftliches Bewusstsein ist erwacht. Das friedliche, konsequente und eindeutige Votum der Zivilgesellschaft gegen Korruption und Willkür verdient Respekt.
Carmen-Francesca Banciu, eine rumänisch-deutsche Schriftstellerin und Dozentin schreibt (Deutsche Welle,03.02.2017): „Rumänien ist auf dem Weg der Erneuerung und Veränderung. Seine Zivilgesellschaft wird immer kritischer, selbstkritischer und verantwortungsbewusster. Ihre Bedeutung immer größer. Sie erkennt immer deutlicher ihre Macht und besonders ihre damit verbundene Verantwortung und beginnt sie ernsthaft in Taten umzusetzen. Vertrauen in die eigene Entscheidungsfähigkeit zu gewinnen. Es ist eine junge Zivilgesellschaft, die dabei ist, erwachsen zu werden und bereit ist, den großen Herausforderungen unserer Zeit die Stirn zu bieten. Das macht selbst angesichts der momentan unglücklichen politischen Umstände zugleich Hoffnung. Denn dies ist ein unumkehrbarer Prozess.“
Am 11. Dezember 2016 wurde in Rumänien ein neues Nationalparlament gewählt. Der rumänische Präsident Klaus Werner Iohannis hatte angekündigt und durchgesetzt, dass er keine Kandidaten für die Regierung akzeptiere, die strafrechtlich verurteilt sind oder bei denen Strafverfahren noch anhängig sind (Unvereinbarkeitsgesetz). Der Präsident in Rumänien ist laut der aktuellen Verfassung von 1991 Oberhaupt des rumänischen Staates und garantiert die nationale Unabhängigkeit und die korrekte Funktionsweise der öffentlichen Behörden. Er bestimmt einen Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten und ernennt die Regierung nachdem diese zuvor das Vertrauen des Parlaments erhalten hat.
Nur ein halbes Jahr nach den Kommunalwahlen im Juni 2016 hatte sich die politische Landkarte Rumäniens fast exakt ins Gegenteil verkehrt. Die Nationalliberale Partei (PNL) und die Partei der ungarischen Minderheit (UDMR) konnten in nur noch sechs von 41 Landkreisen die Mehrheit erreichen. Die Sozialdemokratische Partei (PSD) hatte die Wahlen deutlich gewonnen. Bei einer Wahlbeteiligung von 39,78% erreichte sie 45,68% der gültigen Stimmen. Sie bildete die Regierung gemeinsam mit einer Allianz aus Liberalen und Demokraten (ALDE), die 2015 aus der sozialkonservativ ausgerichteten Konservativen Partei (PC) und der rechtsliberalen reformerischen Partei (PLR) hervorgegangen ist. Die ALDE erreichte 6,01% Stimmenanteil.
Die erst vor wenigen Wochen vereidigte Regierung unter Ministerpräsidenten Sorin Grindeanu wollte keine Zeit verlieren. Wenige Tage nach der Regierungsbildung meldeten die rumänischen Medien, dass die Sozialdemokratische Partei (PSD) unter ihrem Vorsitzenden Liviu Dragnea beabsichtige, das Unvereinbarkeitsgesetz zu ändern und weitere Gesetze einzubringen, um dem PSD-Chef Dragnea so den Weg an die Regierungsspitze zu ebnen.
Rumäniens Regierung wollte am 31. Januar per Eilverordnung 13/2017 (Eilverordnungen gibt es im deutschen Strafrecht nicht) die Strafverfolgung des Amtsmissbrauchs einschränken. Die Eilverordnung war vorbei am Parlament verabschiedet worden. Präsident Iohannis stellte sich auf die Seite der Demonstranten und sprach von einem „Trauertag“ und einem Schlag gegen den Kampf gegen Korruption.
Nach der Neuregelung sollte der Amtsmissbrauch nur dann strafrechtlich verfolgt werden können, wenn der dadurch entstandene Schaden mindestens 200 000 Lei (ca. 45 000 Euro) beträgt. Damit sollte unter anderen auch Liviu Dragnea, geschützt werden, der unter dem Vorwurf der Anstiftung zum Amtsmissbrauch mit einem Schaden von 100 000 Lei vor Gericht steht. Ein weniger bekannter Teil der Verordnung sah vor, dass die Strafe für Behördenvertreter nach einer Diskriminierung von Menschen wegen ihrer Herkunft, Religion, Behinderung oder HIV-Erkrankung deutlich milder ausfallen sollte als bisher. Einige Fälle sollten sogar ganz entkriminalisiert werden. Die Verordnung habe die „Möglichkeit erschaffen, eine rassistische Gesetzgebung durchzusetzen“, beklagte Richter Cristi Danilet aus Cluj, ein früheres Mitglied des Obersten Gerichtshofs in Rumänien.
Präsident Iohannis hatte die Rechtmäßigkeit und Konformität der Eilverordnung mit der rumänischen Verfassung durch die zuständigen Organe in Auftrag gegeben. Er begrüßte die Rücknahme der Eilverordnung, sieht dies aber nur als ersten Schritt, dem weitere folgen müßten. Zum Beispiel die Aufhebung des Gesetzentwurfes zur Begnadigung. Ein Entwurf, von dem einige bereits wegen Korruption oder Amtsmißbrauch verurteilte Politiker profitieren könnten, was wiederum Dragnea zugute käme, der wegen Wahlmanipulation zu einer 2jährigen Bewährungsstrafe verurteilt wurde und auch deshalb trotz beeindruckendem Wahlsieg den Posten des Premierministers nicht übernehmen durfte.
Tagelange Massenproteste im ganzen Land brachten die Regierung zum Einlenken. Die Regierung nahm die Eilverordnung 13/2017 zurück. Regierung und PSD reagierten aber nicht auf die Forderungen nach Rücktritt. Die unklaren Botschaften konnten die Demonstranten nicht beruhigen; sie setzten ihre Proteste fort. Die Regierung hat ihre Glaubwürdigkeit offenbar verloren; sie hat sich innerhalb kürzester Zeit in den Augen ihres Volkes diskreditiert.
Für die EU ist es einmalig, dass die PSD versucht, eine Gesetzgebung nach ihrem „gusto“ maßzuschneidern. Kritiken aus Brüssel und europäischen sozialdemokratischen Parteien an den Aushebelungsversuchen des Rechtsstaats in Rumänien blieben aber verhalten. Auf dem EU-Gipfel in Malta hatte Präsident Iohannis auf die Sorgen der anderen EU-Chefs reagiert: „die Lage in Rumänien ist sehr angespannt und kompliziert“. Die Fortschritte in der Korruptionsbekämpfung während der letzten Jahre haben auch Kommissionschef Jean-Claude Juncker und sein Vize Frans Timmermans anläßlich 10jähriger Mitgliedschaft Rumäniens in der EU gewürdigt. Sie stellten fest: „Der Kampf gegen die Korruption muss weiter vorangebracht und darf nicht rückgängig gemacht werden“. Man verfolge die jüngsten Entwicklungen „mit großer Sorge“.
Am 7.2. sprach Präsident Iohannis vor dem rumänischen Parlament. „Die Aufhebung der Eilverordnung und der eventuelle Rücktritt eines Ministers, das ist mit Sicherheit zu wenig für die Lösung des Problems. Vorgezogene Wahlen wären zum jetzigen Zeitpunkt aber auch zu viel. Das ist der Spielraum. Wer muss die Lösung finden? Natürlich jene, die das Problem geschaffen haben: die PSD.“ Mitglieder der Fraktion der PSD verließen wegen Kritiken an ihren Parteivorsitzenden in der Rede den Saal.

Am 08.02. hat die Regierung den Misstrauensantrag der Opposition wie erwartet überstanden.
Die Abgeordneten der PSD und die ihres liberalen Koalitionspartners ALDE brachten den Misstrauensantrag zu Fall, indem sie die Abstimmung boykottierten. Nur 161 Parlamentarier stimmten für den Antrag. Zur Abwahl der Regierung wären 232 Stimmen notwendig gewesen.

Am 10.Tag der Proteste, am 09.02. gab Justizminister Florin Iordache in Bukarest den Verzicht auf sein Amt bekannt. Iordache hatte das umstrittene Dekret zur Lockerung der Antikorruptionsgesetze maßgeblich vorangetrieben und immer wieder gegen Kritik verteidigt.

Inzwischen hat der oberste Gerichtshof einen Einspruch des Senatspräsidenten Calin Popescu Tariceanu (Präsident der mitregierenden ALDE) zurück gewiesen und damit den Weg für einen Prozess gegen Tariceanu möglich gemacht. Damit stehen nun die Vorsitzenden beider Parlamentskammern Rumäniens in Strafverfahren vor Gericht – neben Tariceanu auch der Präsident des Abgeordnetenhauses, Liviu Dragnea, der zugleich Vorsitzender der sozialdemokratischen Regierungspartei PSD ist.

Die Proteste gehen trotz widriger Wetterbedingungen auf den Straßen des Landes weiter.

Unabhängig vom Ausgang der politischen Krise stellen die mit den Protesten eingeleiteten Prozesse eine deutliche Zäsur dar. Der Kampf gegen Korruption und Amtsmissbrauch und damit für die Demokratie bleibt ein Anliegen für eine Mehrheit der Bevölkerung, für das sie bereit sind auch bei zweistelligen Minusgraden stundenlang auf die Strasse zu gehen – und das im ganzen Land!

Ersten Kommentar schreiben

Antworten

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.


*


*